(Notiz) Ex-sistenz, Existenz

Nur eine Notiz zu der Frage der unterschiedlichen Verwendung des Ausdrucks Existenz mit und ohne Bindestrich:
“Wörtlich genommen, bedeutet „Ex-sistenz“ „Hervortreten“, „Hinausragen“. Das andere Genießen bringt auf die Spur der Ex-sistenz (vgl. Lacan 1986, 83). Lacan ordnet sie dem Realen zu – im Unterschied zum Imaginären, das er durch die Konsistenz, und das Symbolische, das er durch das Loch bestimmt (Lacan, o. J., passim, 2005, 31). Was herausragt, ist der Triebpol eines Symptoms als dasjenige, was nach Abzug des symbolischen und des imaginären Anteils der Symptombildung übrig bleibt (Verhaeghe, Declerq, 2002, 66). Auch das Geschlecht des einzelnen Subjekts verdankt sich einer solchen symptomatischen Bildung und steht damit in Verbindung zur Ex-sistenz. Die Ex-sistenz im Lacanschen Sinn radikalisiert ein Moment sexueller Erfahrung. Das, was an ihr vom Wünschen nicht gefasst werden kann, macht sie aus (vgl. Fink, 2002, 35).
[..] Maurice Merleau-Ponty sieht das Geschlecht in enger Beziehung zur Existenz: „Geschlechtlichkeit und Existenz durchdringen einander, die Existenz strahlt in die Geschlechtlichkeit, die Sexualität in die Existenz aus“ (Merleau-Ponty, 1966, 202). Lassen sich Lacans Überlegungen zur Ex-sistenz mit Merleau-Pontys zur Existenz in Verbindung bringen? Wo Merleau-Ponty von einer wechselseitigen Durchdringung von Geschlecht und Existenz schreibt, unterstreicht er die soziale, d.h. symbolische Seite der Existenz. Denn die Existenz fasst er nicht als einen solipsistischen Modus eines Individuums, sondern als ein leibliches Sein-zur-Welt. Das passt nicht zur Ex-sistenz bei Lacan.
An Martin Heidegger erinnernd, unterscheidet Lacan allerdings zwischen Ex-sistenz und Existenz. Auch Merleau-Ponty erwähnt die „ex-sistance“ als einen Ausdruck, den er von Heideggers Übersetzer Corbin entlehne (Merleau-Ponty, 1945, 487), misst ihm allerdings kein besonderes Gewicht zu. Während die bindestrichfreie Lesart bei Lacan einen Modus kennzeichnet, der, hierin durchaus an Merleau-Ponty erinnernd, dem Symbolischen zugehört (vgl. Fink, 2002, 18), bleibt die Lacansche Ex-sistenz weit entfernt von einer gemeinsamen Realität. Das ist eine andere Formulierung für Lacans Annahme einer psychotischen Grundstruktur aller Subjekte” (Kadi 2015, 26).

Literatur:
Fink, B. (2002). Knowledge and jouissance. In: S. Barnard & B. Fink (Hg.) , Reading Seminar XX.
Kadi, U. (2015): ExistenZ. Differenzen innerhalb der Psychoanalyse und zwischen den Geschlechtern, in: Psychoanalyse – Texte zur Sozialforschung 19/1/2015, S. 14-26.
Lacan, J. (1986). Das Seminar. Buch XX (1972-1973). Encore. Weinheim, Berlin: Quadriga. (frz. ders. Le Séminaire. Livre XX. Encore (1972–1973). Paris: Éditions Seuil 1975.
Lacan, J. (2005). Le Séminaire. Livre XXIII. Le sinthome (1975-1976). Paris: Seuil.
Merleau-Ponty, M. (1966). Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin: De Gruyter.
Verhaeghe, P. & Declerq F. (2002). Lacan’s analytic goal: Le sinthome or the feminine Way. In. L. Thurston(Hg.), Re-Inventing the symptom. Essays on the final Lacan (S. 59-82). New York: Other Press.

3 Replies to “(Notiz) Ex-sistenz, Existenz”

  1. ich würde auch sagen, dass existenz bei mp nichts mit der ex-sistenz bei lacan zu tun hat. existenz ist bei mp nicht einer ebene zugeordnet, sondern allgemeiner verstanden als menschliches existieren im sinne des zur-welt-seins. der leib wäre ausdruck der existenz, die beispiele bei mp: aphonie als verweigerung der koexistenz. phantomglied als ausdruck einer existenz, die unbewusst in der vergangenheit lebt, wo das bein noch da war und das wird nicht akzeptiert. halluzination als störung des körperschemas, die sich in einem äußeren phantasma niederschlägt (s. 391; der bernet-aufsatz in unerem wahn-buch ist auch dazu). dass mp die geschlechtlichkeit und den leib betont, richtet sich auch gegen existenzphilosophien, die davon nichts wissen wollen.
    wenn es darum geht, etwas “weltloses” bei mp zu finden, dann müssten wohl andere denkmotive bei mp herangezogen werden. in der phän. der wahnehmung gibt es auf der subjektseite, das unableitbare cogito trotz intersubjektivität, es gibt die “vorwelt” als das “unmenschliche” …

  2. Ich fände es trotzdem interessant, dem nachzugehen, warum MP in der PhdW einmal (?) die Schreibweise ex-sistere verwendet bzw. extra auf deren Entlehnung verweist. Andererseits sind die späteren Formen des Denkens von existere bei MP wohl noch wichtiger.
    Es verhält sich übrigens so, dass MP wohl im Zuge seiner Abkehr von Sartre den Ausdruck „Existenz“ als eigenen Ausdruck, jedenfalls so in seiner isolierten Form als Substantiv, in SU so gut wie nicht mehr verwendet (es fallen aber noch die „Existentialien“ und die „existenzielle Ewigkeit“, in Bezug auf das „Fleisch der Welt“ und das Unbewusste). Auch die Idee einer „existenziellen Psychoanalyse“, die MP in der PhW in dem Abschnitt zum „Leib als geschlechtlich Seiendes“ (189ff.) beschäftigt, möchte er, wie ich in dem Zitat, das ich in dem Duportail I-Post wiedergegeben habe, durch eine „ontologische Psychoanalyse“ ersetzen. Laut Gondek (2000, Der Leib, das Unbewußte und das Fleisch“, s. Dropbox) ist die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse bzw. der Bedeutung der Sexualität/Geschlechtlichkeit in der PhdW sehr leichtfertig und verkürzend, was MP später auch erkennt und differenzierter anzugehen versucht.

    Noch eine Frage und Bemerkung zum „Geschlecht des einzelnen Subjekts“: Geht es also bei Lacan immer schon um das Geschlecht im Sinne der Geschlechterdifferenz (auf der Ebene des Realen/der Ex-sistenz)? Bei MP ist es jedenfalls so, dass, wo er in der PhW von der Geschlechtlichkeit als einem Verhältnis von „Ausdruck zu Ausgedrücktem“ (PhW 199) spricht, er die „Geschlechtlichkeit“ als etwas auffasst, das der Geschlechterdifferenz vorausgeht … der männliche oder weibliche Körper ist das Ausgedrückte, das nichts ist ohne die Weise seiner Existenz als Leib, den Ausdruck. (Genauer diskutiert u.a. ebenfalls im Gondek-Aufsatz, S.184).
    Er geht also (wie Heidegger), jedenfalls auf den ersten Blick bzw. zumindest in der PhW, von einer undifferenzierten Geschlechtlichkeit vor der Differenz von Mann und Frau aus … Bei Heidegger: Dasein = „Geschlechtslosigkeit“. Die ontologische Differenz beruht bei Heidegger (und MP) auf der Vormachtsstellung des Menschengeschlechts gegenüber allem anderen. Das ist das, was Derrida einen „metaphysischen Machismus“ nennt …
    Dementsprechend gestaltet sich auch die Kritik von feministischer Seite, durch Irigaray und andere … die allerdings in MPs Figuren wie dem Chiasmus, Matrix/Mutter etc. Möglichkeiten sehen, sie stärker in Hinblick auf ein Differenzdenken lesen, das die Geschlechterdifferenz miteinbezieht – wie es MP selbst nicht zu Ende gedacht hat, auch wenn es in den späteren Schriften vielleicht vorbereitet ist.

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