Leib als Medium

In der Phänomenologie der Leiblichkeit gilt der Leib als Medium. Das trifft ganz besonders auf die Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys zu. So charakterisiert beispielsweise Bernhard Waldenfels den Leib bei Merleau-Ponty als „Medium des Weltlebens und Verankerung in der Welt“ (Waldenfels 1980, 36). Merleau-Pontys eigene zentrale Bestimmung des Leibes als Medium findet sich in der Phänomenologie der Wahrnehmung: „Der Leib ist unser Mittel überhaupt, eine Welt zu haben“ (Merleau-Ponty 1966, S. 176). Obwohl hier im französischen Original von „moyen“, also von „Mittel“ die Rede ist, wird diese Stelle weitestgehend als Beleg für den Leib als Medium der Welthabe interpretiert. Waldenfels betont, dass damit der Leib etwas ist, wodurch sich für den Menschen die Welt erschließt. Das heißt, der Leib ist nicht nur Mittel zur Welthabe ist, sondern er trägt zur Konstitution der Welt bei, er ist also Medium der Weltkonstitution. In diesem Sinne könne man von einem fungierenden Leib sprechen im Unterschied zum Körperding (vgl. Waldenfels 1980, 37). Im Falle des fungierenden Leibes ist damit der Leib in seiner Funktion als Vermittlung angesprochen; unter Körperding versteht man den Leib in seiner Dinglichkeit.
Zur weiteren Explikation des Leibes als Medium werden im Folgenden zwei Bedeutungen des Wortes „Medium“ unterschieden: einmal Medium als Mittel, einmal Medium als Mitte (siehe dazu Stoller 2010, 100 ff.). Im ersten Fall kann spezifisch von einem Mittel gesprochen werden, mit dem etwas ausgeführt oder getan wird. Das entspricht der erwähnten fungierenden Rolle des Leibes. Nicht kann jedenfalls dieses Mittel rein instrumentell gefasst werden, denn auch wenn der eigene Leib Mittel zum Zweck für etwas wäre, dann wäre er immer noch mit dabei; er wäre er also jenes Medium, durch welches hindurch sich etwas konstituiert.
Im zweiten Fall kann man sich auf das griechische Wort „mesotes“ beziehen, was laut Ritter-Lexikon dasjenige ist, „was zwischen mindestens zwei Äußersten liegt und von ihnen gleich weit entfernt ist“. Im Zusammenhang mit Merleau-Pontys Auseinandersetzung mit der Dualismusproblematik bildet der Leib ein vielfaches Mittleres zwischen zwei Äußersten. So ist der Leib bei Merleau-Ponty ein Mittleres a) zwischen Natur und Kultur, b) zwischen Subjekt und Objekt oder c) zwischen Selbst und Anderem oder Ich und Welt. Ad a) Der Leib ist ein Mittleres zwischen Natur und Kultur; er hat seine Materialität, aber die Kultur hat sich vielfach in den Leib eingeschrieben. So kann eine Anatomin den Bewegungsapparat eines Menschen sachlich mit seinen Bestandteilen beschreiben, aber der Gang dieses Menschen wird unterschiedlich kulturell geprägt sein. Ad b) Ein Mittleres zwischen Subjekt und Objekt ist der Leib insofern, als er sich der Alternative zwischen reiner Subjektivität und reiner Objektivität entzieht. Als fungierender Leib ist er gewissermaßen ausführendes Organ, zum Beispiel Subjekt der Wahrnehmung, andererseits aber ist er selbst auch als Objekt wahrnehmbar. Er ist Subjekt und Objekt zugleich. In Das Sichtbare und das Unsichtbare wird die doppelte Sensibilität von wahrnehmend/wahrnehmbar und deren „Verflechtung“ ins Zentrum gerückt (vgl. Merleau-Ponty 1986, 172). Ad c) Ein Mittleres zwischen Ich und Welt ist der Leib insofern, als er inmitten der Welt situiert ist. Für Husserl war der Leib „Nullpunkt der Orientierung“ (Hua IV, 128), Merleau-Ponty zufolge ist der Leib „Mittelpunkt der Welt“ (Merleau-Ponty 1966, 106). Die Idee der Mitte zeigt sich besonders gut in folgender metaphorischen Umschreibung: „Der eigene Leib ist in der Welt wie das Herz im Organismus (Merleau-Ponty 1966, 239). Im Spätwerk verändert sich der Gedanke der „Mitte“, es zeigen sich deutliche Tendenzen zur Stärkung des Seins gegenüber dem Seienden. Siehe dazu folgende Stelle: „[…] weil das Sein nun nicht mehr vor mir liegt, sondern mich umgibt und mich in gewissem Sinne durchdringt, weil meine Sicht auf das Sein nicht anderswoher entsteht, sondern aus der Mitte des Seins selbst“ (Merleau-Ponty 1986, 153).

Literatur:
Merleau-Ponty, Maurice (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung. Übers. von Rudolf Boehm. Berlin: Walter de Gruyter.
Merleau-Ponty, Maurice (1986): Das Sichtbare und das Unsichtbare. Hg. von Claude Lefort. Übers. von Regula Giuliani und Bernhard Waldenfels. München: Wilhelm Fink.
Stoller, Silvia (2010): Existenz – Differenz – Konstruktion. Phänomenologie der Geschlechtlichkeit bei Beauvoir, Irigaray und Butler. München: Wilhelm Fink.
Waldenfels, Bernhard (1980): Der Spielraum des Verhaltens. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Waldenfels, Bernhard (2000): Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. Frankfurt/Main: Suhrkamp.