Nur ein Leben

Catherine Malabou (2016): One Life Only: Biological Resistance, Political Resistance, in: Critical Inquiry 42 (Spring 2016), 429-438. Die wichtige These von Malabou lautet: Clonen und epigenetische Prozesse, die in den vergangenen Jahrzehnten in biologischen Wissenschaften erforscht worden sind, lassenKonzepte, die eine Formierung unseres Körperverständnisses nur bzw. primär durch Symbolisierungsprozesse nahelegen, unzureichend erscheinen. Der Körper ist qua Körper ein Ort des Widerstandes.
Malabou versteht Foucaults Konzept der Biomacht als Synonym für Kontrolle, Regulierung, Ausbeutung und Instrumentalisierung von Lebewesen. Biomacht greift auf die Körper der Lebewesen zu. Malabou legt nahe, dass diese Körper – im von Foucault selbst nicht besonders ausgearbeiteten Begriff der Biomacht – vielfach als passive Matrix gedacht sind. Malabou fokussiert dagegen aktive Momente/Keime (Formulierungen von UK) in der Materie.
An Merleau-Ponty erinnernd denkt Malabou das Verhältnis “Körper-Politik” wechselseitig verschränkt. Der Politisierung des Lebens wäre in diesem Sinne eine Biologisierung der Politik zur Seite zu stellen. Sie interessiere sich für den BIOpolitischen Widerstand gegenüber dem BioPOLITISCHEN. Beispiele von Agamben und Esposito (“biologische Realisierung des Nationalsozialismus) über die enge Verknüpfung zwischen dem Politischen und dem Biologischen im Nationalsozialismus werden von ihr angeführt. Darin wird Malabouss Punkt weniger deutlich als beim Thema Clonen und Epigenetik.
In zeitgenössischen biologischen Konzepten werden Lebewesen als offene Strukturen gedacht, in denen sich mehrere Regime des Gedächtnisses, der Übermittlung von Erinnerung und Vererbung überkreuzen. An manchen Stellen argumentiert Malabou so, als wollte sie hervorheben, dass Anknüpfungsstellen für Machttechniken nicht an der Oberfläche der Körper liegen, sondern tiefer im Organismus, wo sie auf körpereigene Machttechniken treffen.
In der Epigenetik wird heutzutage das erforscht, was an Modifikation des genetischen Codes durch Umwelteinflüsse auf das Individuum geschieht. Auf zellulärer Ebene handelt es sich dabei um die Aktivierung und Desaktivierung von genetischen (DNA-codierten) Sequenzen durch Boten(RNA)Sequenzen. Diese Aktivierung/Desaktivierung wird weiter vererbt (ein Beweis für den lange bezweifelten Lamarckismus, der Vererbung von erworbenen Eigenschaften). Das liest Malabou als eine nicht-symbolische Prägung des Organismus.
Das Clonen betrifft zwei Zusammenhänge: die asexuelle Reproduktion und die Regeneration von Zellen. Malabou hebt die Bedeutung der heutigen Stammzellforschung hervor. Stammzellen (=früh in der Entwicklung eines Organismus vorhandene pluripotente Zellen) verkörpern eine bis dato wenig berücksichtigte Vorstellung der Reversibilität von Leben, als enthielte jeder Körper ewiges Leben über die im Organismus schlafenden “Sporen”. Biotechnologische Innovation wäre in diesem Sinn keine vor allem äußere Manipulation an Organismen, sondern sie würde auf bereits im Organismus vorhandene, ältere Möglichkeiten zurückgreifen, nachdem den Säugern eine Selbstreparatur auf diesem (Um)Weg evolutionär verloren gegangen ist.


Widerstand? Malabou unterstreicht die Koinzidenz von symbolischem und biologischem Subjekt, die sie in den angesprochenen Konzepten verwirklicht sieht. Genome werden permanent reprogrammiert durch den Organismus selbst und widersetzen sich damit einem symbolischen Einfluss. Ein prothesenfreier Ersatz von Körperteilen erfolgt permanent durch den Körper selbst.

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