Permanenz des Leibes

Die Permanenz (auch: Ständigkeit) ist eines der zentralen Merkmale des lebendigen Leibes („corps vivant“). Unter der Permanenz des Leibes versteht man die Eigentümlichkeit, dass der Leib immer bei uns ist. Das bedeutet: Man kann sich nicht vom eigenen Leib trennen oder sich von ihm entfernen. Selbst wenn man nicht an ihn denkt oder kein Bewusstsein von ihm hat, ist er immer noch da. Merleau-Ponty hat diese Permanenz des Leibes in der Phänomenologie der Wahrnehmung wie folgt beschrieben: Er ist stets bei mir (frz. „toujours près de moi“), immer da für mich („toujours là pour moi“) und mit mir („avec moi“) (PhW 115). Nur in Fällen der Depersonalisation komme es zur Abtrennung des Leibes vom Selbst, etwa wenn Teile des Körpers oder der ganze Leib sich dem Anschein nach loslösen bzw. abspalten und wie (gegenständliche) Fremdkörper wahrgenommen werden. Darauf verweist Waldenfels (2000, S. 31).
Das Merkmal der Permanenz unterscheidet den Leib von einem Gegenstand. Einen Gegenstand kennzeichnet, dass er auch von mir weg sein kann: Ich kann ihn weglegen, meinen Leib hingegen nicht. Darüber hinaus kann ich einen Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen. Genau das funktioniert in leiblicher Existenz wiederum nicht. Der eigene Leib kann nicht beliebig in unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen werden. Der Leib kann immer nur aus der Perspektives des Leibes aus betrachtet werden. Dabei bleiben gewisse Teile immer unsichtbar. Der Leib ist gewissermaßen „halsstarrig“, „er zeigt sich immer von derselben Seite“, wie Waldenfels sagt (2000, S. 31).  Merleau-Ponty nennt das eine „invariable Perspektivität” (die Perspektive kann sich nicht unendlich ändern) (PhW 116) im Unterschied zu einer „endlosen Erkundung“ eines Gegenstandes (PhW 115).
Dieses Merkmal ist keine Erfindung Merleau-Pontys. Dieses und andere Merkmale des Leibes hat bereits Edmund Husserl in den Ideen II beschrieben. Zur Permanenz des Leibes und zum Unterschied von Leib und Gegenstand heißt es dort: „habe ich nicht die Möglichkeit, mich von meinem Leibe oder ihn von mir zu entfernen, und dementsprechend sind die Erscheinungsmannigfaltigkeiten des Leibes in bestimmter Weise beschränkt“ (Ideen II, S. 159).
Was aber bedeutet die Ständigkeit des Leibes bezüglich der leiblichen Wahrnehmung von Gegenständen? Zwar seien Gegenstände grundsätzlich in allen möglichen Perspektiven wahrnehmbar, dennoch zeigen sie sich praktisch nie von allen Seiten. Das hängt nach Merleau-Ponty mit der leiblichen Situiertheit zusammen. Die leibliche Wahrnehmung zwingt dem Subjekt eine Perspektive auf, von der alle Wahrnehmung betroffen ist. In Merleau-Pontys eigenen Worten: „Wenn Gegenstände mir notwendig stets nur eine ihrer Seiten zeigen, so weil ich selbst einen bestimmten Platz einnehme, von dem aus ich sie sehe, den ich selbst nicht sehen kann” (PhW 117).
In der deutschen Übersetzung von Rudolf Boehm wird frz. permanence mit Ständigkeit wiedergegeben. Als Sekundärliteratur empfiehlt sich Waldenfels Vorlesung Das leibliche Selbst (Waldenfels 2000, S. 31 ff.). Stoller hat auf Basis von Husserl und Merleau-Ponty den phänomenologischen Leibbegriff für die Geschlechtertheorie fruchtbar gemacht (Stoller 2010).

Literaturverzeichnis
Husserl, Edmund (1952): Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Zweites Buch:  Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution, hg. von Marly Biemel. Haag:  Martinus Nijhoff. Husserliana, Bd. IV (zit. als Ideen II).
Merleau-Ponty, Maurice (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung. Übers. von Rudolf Boehm. Berlin: Walter de Gruyter (zit. als PhW).
Stoller, Silvia (2010): Existenz – Differenz – Konstruktion. Phänomenologien der Geschlechtlichkeit bei Beauvoir, Irigaray und Butler. München: Wilhelm Fink.
Waldenfels, Bernhard (2000): Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie der Leiblichkeit. Hg. von Regula Giuliani. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

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