Disziplinen – der Körper und seine Kräfte

Disziplinen* stehen bei Foucault für eine „politische Besetzung [investissement] des Körpers“ (Foucault 1975, S. 37), sie sind diejenigen „Methoden, welche die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung [assujetissement] ihrer Kräfte ermöglichen und sie gelehrig/nützlich machen“ (Foucault 1975, S. 175). In Institutionen wie Armee, Fabrik, Krankenhaus, Schule, Gefängnis wird ein disziplinierter Körper produziert, der dabei unerlässlich ist für den Kapitalismus: „Die Disziplin fabriziert […] unterworfene und geübte Körper, fügsame und gelehrige Körper. Die Disziplin steigert die Kräfte des Körpers (um die ökonomische Nützlichkeit zu erhöhen) und schwächt diese selben Kräfte (um sie politisch fügsam zu machen). Mit einem Wort: sie spaltet die Macht des Körpers; sie macht daraus einerseits eine ‚Fähigkeit‘, eine ‚Tauglichkeit‘, die sie zu steigern sucht; und andererseits polt sie die Energie, die Mächtigkeit, die daraus resultieren könnte, zu einem Verhältnis strikter Unterwerfung um. Wenn die ökonomische Ausbeutung die Arbeitskraft vom Produkt trennt, so können wir sagen, daß der Disziplinarzwang eine gesteigerte Tauglichkeit und eine vertiefte Unterwerfung im Körper miteinander verbindet.“ (Foucault 1975, S. 177).
Der Körper und seine Kräfte – das ist Foucaults minimale Anzeige dafür, was da geformt wird und was sich formt, auch wenn er in Überwachen und Strafen einseitig nur das Geformtsein betont (vgl Bröckling 2010, S. 416). Untergründig steht Foucault, so Friedrich Balke (mit Deleuze), hier Spinoza (und Nietzsche) nahe, der den Körper von der Macht, zu affizieren und affiziert zu werden, bestimmt hat: Foucault beschreibe daher „hinreichend sensible Körper-Materien, die geeignet sind, im Zusammenspiel mit einer affizierenden Macht zu funktionieren und die dabei ganz ‚unwahrscheinliche‘ Transformationen erleiden“ (Balke 2004, S. 139, 133). Insofern wäre Freiheit von der Macht des Körpers, seinen Kräften und seiner Affizierbarkeit zu denken. So verweist Menke darauf, dass Foucault in einer Tradition steht, die Subjektivität vom Bezug zu Kräften her denkt, womit einerseits eine cartesianische Tradition, die Subjektivität mit Selbstbewusstsein gleichsetzt, verabschiedet wird, denn das primäre Selbstverhältnis ist kein Wissen, sondern eine Praxis, und andererseits Freiheit vom Handeln-Können als Macht her gedacht wird, auch wenn Foucault das hier nicht explizit ausführt (vgl. Menke 2003, S. 286 ff.).

* Vgl. für das Folgende Unterthurner (2015), 95-96.

Literatur
Balke, Friedrich (2004): Der Körper des Philosophen im Zeitalter der Biopolitik. In: Schaub, Mirjam/Wenner, Stefanie (Hrsg.): Körper-Kräfte. Diskurse der Macht über den Körper, Bielefeld, S. 131–158.
Bröckling, Ulrich (2010): „Nichts ist politisch, alles ist politisierbar“ – Michel Foucault und das Problem der Regierung. In: Foucault, Michel: Kritik des Regierens. Schriften zur Politik, Frankfurt a. M., S. 403–439.
Foucault, Michel (1975): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/M., 1976.
Menke, Christoph (2003): Zweierlei Übung. Zum Verhältnis von sozialer Disziplinierung und ästhetischer Existenz. In: Honneth, Axel/Saar, Martin (Hrsg.): Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konferenz, Frankfurt a. M., S. 283–299.
Unterthurner, Gerhard (2015): Normalisierungsmacht und Freiheit nach
Foucault, in: Pravu Mazumdar (Hg.), Foucault und das Problem der
Freiheit. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 89-117.

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