Solipsismus ist ein philosophischer Fachterminus, der insbesondere in der Erkenntnistheorie eine Rolle spielt. Das Wort setzt sich aus den lateinischen Wörtern solus (= allein) und ipse (= selbst) zusammen und heißt übersetzt “allein ich”. Gemäß einem solipsistischen Standpunkt kann ausschließlich das Subjekt mit und in seinem Bewusstsein Erkenntnisse besitzen. Dem zufolge sind andere Subjekte ebenso wie die Außenwelt lediglich Vorstellungen dieses einen Subjekts. Dies wird auch als “erkenntnistheoretischer Solipsismus” bezeichnet. In einer noch strengeren Form, der Form des sogenannten “metaphysischen Solipsismus”, existiert einzig und allein das eigene Ich, und nichts außer dem eigenen Ich, das heißt des eigenen Bewusstseins, existiert. Unter einem “methodologischen Solipsismus” versteht man schließlich eine Form von notwendig methodischem Solipsismus, ohne davon auszugehen, dass nur das eigene Ich existiert oder erkannt werden könne. Der Solipsismus tritt in der Regel vor allem als Solipsismuskritik in Erscheinung.
Auch Husserls Phänomenologie wurde ein Solipsismus bescheinigt. Dass seine Phänomenologie eine “Bewusstseinsphilosophie” ist, wurde dafür verantwortlich gemacht. Nachdem in Folge der phänomenologischen Bewegung in Frankreich Alterität und Sozialität wichtig wurden, bestand auch in der französische Phänomenologie Interesse daran, dem Solipsismusvorwurf zu entgegnen. Maurice Merleau-Ponty hatte gleichfalls Interesse daran, sich mit dem Solipsismus auseinanderzusetzen. Seine Auseinandersetzung findet sich im Hauptwerk der Phänomenologie der Wahrnehmung (1966), und zwar im Kapitel “Die Anderen und die menschliche Welt” des Zweiten Teils (“Die wahrgenommene Welt”). Es ist also kein Zufall, dass sie im Abschnitt über die Fremdwahrnehmung zu finden ist. Weitere Reflexionen zum Thema finden sich in seinem bekannten Essay “Das Auge und der Geist” (2003).
Merleau-Pontys Auseinandersetzung mit dem Solipsismus beginnt nicht mit einer Zurückweisung, sondern mit einer Verteidigung des Solipsismus, allerdings der Verteidigung eines bestimmten Solipsismus. Er behauptet nämlich, dass ein gewisser Solipsismus unvermeidlich sei. Dies ist der “erlebte Solipsismus” (PhW 409), und angesprochen damit sind die Erfahrungen des leiblichen Subjekts. Das besagt: Nicht eine andere oder ein anderer macht meine Erfahrung vom anderen oder der anderen, sondern ich selbst mache diese Erfahrung. Merleau-Ponty behauptet also einen “solus ipse” insofern, als die Erfahrung des Subjekts nie die Erfahrung eines anderen Subjekts sein kann, was nicht gleichgesetzt werden kann mit der Behauptung, dass nur das Subjekt oder nur das Subjekt mit seinen Erfahrungen existierten. Ich habe zwar eine Erfahrung vom anderen, aber diese Erfahrung ist nicht die gleiche, die der andere von sich selbst hat, und zwar aus dem Grund, weil die beiden nicht substituierbar sind. Mein Zugang zum anderen oder der anderen kann nicht gleichzeitig der Zugang vom anderen oder der anderen her sein, weil er gebunden ist an einen Ausgangspunkt, der nicht gleichzeitig von anderen besetzt ist. Zwar kann eine Erfahrung von außen motiviert sein – Erfahrungen können von außen wie Fremdkörper in meine eigene Welt einbrechen –, doch selbst diese Erfahrungen können von niemandem anderen als von mir selbst gemacht werden.
Nur in diesem Sinne verteidigt Merleau-Ponty eine “Wahrheit des Solipsismus” (PhW 412). Darüber hinaus heißt Solipsismus bei Merleau-Ponty nicht, dass der “solus ipse” wirklich allein ist. Aus der Tatsache, dass meine Beziehung zum anderen von mir ausgeht und nicht vom anderen herkommt, folgt seiner Ansicht nach nicht, dass ich in meiner Beziehung zum anderen allein bin bzw. keine anderen in meiner Welt vorkommen. Von Anfang an ist der Mensch in ein soziales Leben eingebunden, sei es aufgrund der intrauterinen Symbiose im Mutterleib bzw. durch die Mutter als primäre leibliche Bezugsperson des Kindes während der ersten Lebensjahre oder später im Erwachsenenleben, das durch vielfache soziale Beziehungen geprägt ist. In dieser Hinsicht scheint ein absoluter Solipsismus im Sinne einer Welt, in der es keine anderen als mich selbst gibt, ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Der Solipsismus ist daher also von paradoxer Art: “Ich kann eine solipsistische Philosophie konstruieren, doch indem ich es tue, setze ich eine Gemeinschaft sprechender Menschen voraus, an die ich mich wende” (PhW 412). Alleinsein setzt Kommunikation oder Soziales voraus, wie umgekehrt Kommunikation oder Soziales die Möglichkeit des Alleinseins bietet. Beides ist notwendig aufeinander bezogen, soll eines von beiden denkbar sein (vgl. PhW 411).
In “Der Philosoph und sein Schatten” macht Merleau-Ponty besonders deutlich auf das Paradox des “solus ipse” aufmerksam: “Wenn man sagt, dass das Ego ‘vor’ den Anderen allein ist, so situiert man es bereits im Hinblick auf das Phantom des Anderen, so stellt man zumindest eine Umwelt vor, in der auch Andere sein könnten” (AuG 264). In phänomenologischer Hinsicht kann der “solus ipse” nur in Bezug oder vor dem Hintergrund anderer sozialer Wesen allein und einzig sein, denn es muss gefragt werden, in Bezug worauf er ein “solus ipse” ist. Fehlte dieser Hintergrund, würde die Rede von einem “solus ipse” sinnlos werden. Versucht man sich im Gegenbeweis, so ist schwer vorstellbar, dass sich ein “solus ipse” in Bezug auf sich selbst je als einzig oder allein empfinden könnte. Die Annahme eines “solus ipse” setzt also implizit die Existenz anderer oder zumindest die Möglichkeit anderer voraus. Selbst wenn auf der Erde nur ein einziger Mensch übrigbliebe, so stünde dessen singuläre Existenz noch immer in Verbindung zu jenen Menschen, mit denen er einst in Kontakt stand. Dieses von Husserl in den Ideen II als Argument in Anschlag gebrachte Gedankenexperiment trifft auf Zustimmung von Seiten Merleau-Pontys: “Wenn wir den Solus ipse wirklich von dem Anderen und der Natur abtrennen könnten […], dann würden in jedem Bruchstück des Ganzen, das allein übrig bliebe, die Bezüge auf das Ganze erhalten bleiben, aus denen es besteht: Wir hätten immer noch nicht den Solus ipse” (AuG 264).
Wenn also Merleau-Ponty einen Solipsismus verteidigt, so einen stark abgewandelten Solipsismus, das heißt einen phänomenologischen Solipsismus. Während der klassische Solipsismus in seiner metaphysischen Variante die Existenz von anderen außerhalb des “solus ipse” schon per definitionem ausschließt, wird in der phänomenologischen Variante eine bestimmte Form des “solus ipse” geltend gemacht, die andere – etwa einen anderen “solus ipse” – nicht kategorisch ausschließt, sondern ihn geradezu voraussetzt. Doch abgesehen von der phänomenologischen “Widerlegung” des klassischen Solipsismusarguments unterstützt Merleau-Ponty auch eine bestimmte Form des Solipsismus, wie oben ausgeführt wurde. Es handelt sich hierbei um einen gelebten Solipsismus, womit die Einzigartigkeit und Singularität der Erfahrung eines situierten Subjekts bezeichnet ist.
Auch Merleau-Ponty ist dem Vorwurf des Solipsismus ausgesetzt gewesen. Die feministische Differenzphilosophin Luce Irigaray sieht in dessen Spätphilosophie einen Solipsismus. Seinem Begriff des Chiasmus attestiert sie einen „solipsistischen Charakter“ (Irigaray 1991, S. 183). Dieser Vorwurf ist – ebenfalls von feministischer Seite – kritisch aufgenommen worden (siehe Stoller 2010, S. 274 ff.).
Literaturverzeichnis
Irigaray, Luce (1991): Ethik der sexuellen Differenz. Übers. von Xenia Rajewsky. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Merleau-Ponty, Maurice (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung. Übers. von Rudolf Boehm. Berlin: Walter de Gruyter (zit. als PhW).
Merleau-Ponty, Maurice (2003): Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Hg. von Christian Bermes. Hamburg: Felix Meiner (zit. als AuG).
Stoller, Silvia (2010): Existenz – Differenz – Konstruktion. Phänomenologie der Geschlechtlichkeit bei Beauvoir, Irigaray und Butler. München: Wilhelm Fink.