Einschreibung (inscription), Besetzung (investissement)

Bei Foucault* geht es um die Frage, wie der Körper in modernen Macht-Wissen-Komplexen geformt wird und dadurch das moderne Subjekt entsteht, sowie seinen Versuch, Macht nicht mehr primär negativ zu denken als Verbot oder Unterdrückung/Repression, sondern produktiv als dasjenige, was in Verbindung mit bestimmten Wissensweisen allererst bestimmte Subjekte und Objekte hervorbringt.
Machtverhältnisse wirken nicht auf ein fertiges Subjekt und Objekt ein, sondern sind an der Konstitution beider mitbeteiligt, da „das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht-Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformationen bilden“.[1] Dass der Körper so eine zentrale Rolle für Foucaults Machtanalysen erhalten hat, wurde dabei schon prominent in seinem Text „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“ (1971) thematisiert. Dort spricht Foucault davon, „dass der Leib von der Geschichte geprägt ist“. Der Leib ist für ihn eine „Oberfläche der Einschreibung der Ereignisse (surface d’inscription des événements) [Übers. G. U.].“[2] Begriffe wie „Einschreibung“ (inscription) und später „Besetzung“ (investissement), der auch auf die Psychoanalyse verweist, werden von Foucault verwendet, um dieses Verhältnis von Geschichte und Körper bzw. später Macht-Wissen und Körper zu bestimmen (neben Begriffen wie Produktion oder Effekt, wenn Foucault z. B. von der Seele als Effekt spricht). Der Körper ist dasjenige, in das sich eine Ordnung „einschreibt“, das von einem bestimmten Wissen-Macht-Komplex „besetzt“ wird.[3] Foucault, der darauf hinweist, wie viel sein Denken Deleuze/Guattaris Anti-Ödipus (1972) verdankt, steht, wie ja auch das von Deleuze, in der Tradition Nietzsches.[4] So hat der Anti-Ödipus mit Nietzsche von der Grausamkeit der Kultur gesprochen, „die an den Körpern sich vollzieht, sich in sie einschreibt und sie bearbeitet“, und dass das Primäre der Kulturalisation die Einschreibung ist, die gleichzeitig eine „Besetzung der Organe“ ist bzw. die „unbewussten Besetzungen des gesellschaftlichen Feldes durch den Wunsch“.[5] Wobei angemerkt sei, dass die Körper bei Foucault auch für den „Ort der Zersetzung des Ich“[6] stehen, für einen Überschuss über die jeweiligen Machtverhältnisse, ohne eine Art Naturbasis zu sein. Körper sind Unruheherde, obwohl Foucault nur historische Körperordnungen beschreibt.[7]
Ausgangspunkt ist daher in Foucaults „Genealogie […] der modernen ‚Seele‘“, dass der Körper einerseits immer in einem Feld der Machtverhältnisse steht, die ihn besetzen, und dass andererseits die jeweilige „politische Besetzung des Körpers“ durch die Macht eine jeweilige Subjektivität und Seele hervorbringt: „Die Seele: Effekt und Instrument einer politischen Anatomie.“[8] Und mit der Disziplinarmacht bzw. Normalisierungsmacht ist die der „modernen Seele“ korrelative Macht genannt. Mit dem Modell – dass die Seele ein Produkt gewisser Affektionen bzw. Besetzungen des Körpers ist – wird, so Röttgers, eine klassische Topologie, die die Seele mit einer eigentlichen Tiefe bzw. einem Innen und den Körper mit einer uneigentlichen Oberfläche bzw. einem Außen verbunden hat, umgedreht bzw. aufgelöst. Diese „Depotenzierung des Seelenbegriffs“, wie es Röttgers nennt, ist daher als radikaler Versuch zu lesen, die „Destruktion des Subjekts als Pseudo-Souverän“[9] nicht nur erkenntnistheoretisch durchzuführen wie in Foucaults wissensgeschichtlichen Untersuchungen, sondern auch praktisch durch die In-Beziehung-Setzung von Wissensordnungen mit Machtverhältnissen.[10]

* Vgl. für das Folgende Unterthurner (2015), 93-94.
[1] Foucault 1975, S. 39. Mit diesem produktiven Machtbegriff kann man Foucault in einer Tradition verorten, die von Aristoteles über Spinoza bis hin zu Nietzsche reicht und den Machtbegriff von seiner neuzeitlichen Verengung auf Herrschaft befreit (siehe Saar 2007, S. 234 ff.; vgl. Röttgers 1990, S. 50 ff.).
[2] Foucault 1971, S. 174. Im Deutschen steht: „eine Fläche, auf dem die Ereignisse sich einprägen“.
[3] Siehe z. B. zur Besetzung Foucault 1975, 37, 40. Einschreibung verwendet Foucault ab und zu im engeren Sinne, wenn er sie für die Einschreibung der Martern auf den Körper des Verurteilten für Souveränitätsgesellschaften verwendet und davon die Körperpolitik der Disziplinen abhebt (Foucault 1974, S. 762).
[4] Foucault 1975, S. 35. Vgl. Foucault 1972b, S. 390. Vgl. Saar 2007.
[5] Deleuze/Guattari 1972, S. 180 ff., 184, 213, 241.
[6] Foucault 1971, S. 174.
[7] Gehring 2004, S. 100, 104. Einige Interpreten sehen Foucault beim Status des Körpers hin- und herschwanken zwischen einem Konstruktivismus und einer Metaphysik, da er anscheinend einen Körper unabhängig von Ordnungen ansetzt. So hat auch Judith Butler das Modell der Einschreibung bei Foucault kritisiert, da es ihr zufolge einen vorkulturellen Leib nahelege, der zu problematisieren sei (siehe Butler 1990, S.  190 ff.). Dagegen soll hier betont werden, dass man das Einschreibemodell auch anders verstehen kann: Nur weil es ein Worin der Einschreibung und ein Woraus der Ordnung gibt, muss das nicht als naive Ursprungsphilosophie angesetzt werden, als ob Foucault einen natürlichen Körper ansetzen würde – das Woraus und Worin wäre wie bei Waldenfels dasjenige, was über die Ordnung als Überschuss hinausgeht, und keine Naturbasis (vgl. Waldenfels 1987, S. 173 ff.).
[8] Foucault 1975, S. 41 f.
[9] Foucault 1972a, S. 114 f.
[10] Röttgers 1997, S. 151–174. Röttgers zeigt das bei Freud, Nietzsche, Merleau-Ponty, Foucault, Deleuze und Lyotard.

Literatur
Butler. Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990.
Deleuze, Gilles/Guattari, Félix (1972): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974.
Foucault, Michel (1971): Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: Michel Foucault, Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band 2. 1970–1975 (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2002), S. 166–190.
Foucault, Michel (1972a): Theatrum philosophicum, in: Michel Foucault, Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band 2. 1970–1975, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2002, 93-123.
Foucault, Michel (1972b): Die Intellektuellen und die Macht, in: Michel Foucault, Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band 2. 1970–1975, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2002, 382-394.
Foucault, Michel (1974): Die Wahrheit und die juristischen Formen, in: Michel Foucault, Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band 2. 1970–1975, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2002, S. 669–792.
Foucault, Michel (1975): Überwachen und Strafen. Die Geburt des GefängnissesFrankfurt/M.: Suhrkamp 1977.
Gehring, Petra: Foucault – Die Philosophie im Archiv, Frankfurt/M.: Campus.
Röttgers, Kurt (1990): Spuren der Macht, Freiburg/Br.: Alber.
Röttgers, Kurt (1997): Sozialphilosophie, Essen: Blaue Eule.
Saar, Martin (2007): Genealogie als Kritik. Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault, Frankfurt/M.: Campus.
Unterthurner, Gerhard (2015): Normalisierungsmacht und Freiheit nach Foucault, in: Pravu Mazumdar (Hg.), Foucault und das Problem der
Freiheit. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 89-117.
Waldenfels, Bernhard (1987); Ordnung im Zwielicht, Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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