Körpersack

Lacan  verweist im SE XXII nur wenige Male auf den “Sack” des Körpers:
“Der erste andere – erster, weil ich da anfange – definiert sich zum Beispiel mit der Unterscheidung innen/außen. Es ist derjenige Freuds, ob er es will oder nicht, in seiner zweiten Topik, die sich auf eine Geometrie des Sackes stützt” (Lacan 2012, 3).
Der kleine andere a wird in dieser Passage mit Freuds 2. Topik in Verbindung gebracht. Und mit einer Innen-Außen-Unterscheidung, die bei einer Sackvorstellung des Körpers funktioniert. Lacan macht sich dann über die Skizze in Das Ich und das Es und/oder über Freuds Behauptung, der Sack enthalte die Triebe, lustig. Dann setzt er fort:
“Diese Geometrie des Sacks, genau damit haben wir in der Topologie zu tun, mit dem Unterschied, daß der Sack auf einer Oberfläche zu skizzieren ist und einen Kreis beschreibt, der ein Innen und ein Außen hat. Dies führt einen dazu, die Einschließung in eine Menge zu schreiben. Man benutzt dieses Zeichen, ⊂ , von dem aus man zu diesem hinübergleiten konnte, <. Wenn i ⊂ e, denn ist i < e – offensichtlicher Schwachsinn” (ebd.).
Lacan möchte mit der Topologie beim Sack ansetzen will. Auf eine (Ober)Fläche notiert ist ein Sack ein Kreis mit Innen und Außen. Mengentheoretisch ließe sich das Gebilde als Venn-Diagramm lesen: i ist Teilmenge von e (ich nehme an, dass er hier mit i “interieur” und mit e “exterieur” meint). Mit dem “<“-Zeichen impliziert Lacan, dass es kein Größenverhältnis ist, was das Innere und das Äußere miteinander haben.
Welches Verhältnis sonst? Eine Assoziation dazu wäre die Kleinsche Flasche. Auf ihr geht wie beim Möbius-Band Inneres in Äußeres und umgekehrt über.
In der Fortführung dieser Textstelle wird deutlich, dass Lacan die Sackgeschichte im Bereich des Imaginären, einer imaginären Vorstellung des Körpers und einer imaginären Fassung des Anderen als anderen a ansiedelt. Diese Verbindung betont er selbst: …”reduziert sich das Imaginäre auf das, was nicht ein Maximum ist, aufgezwungen durch den Sack des Körpers, sondern”… (Lacan 2012, 6).
Von einer solchen Vorstellung des Körpers, die sich als eine Verräumlichung einer Spiegelstadiumsfassung des Körpers lesen lässt, scheint sich Lacan auch bei den im Seminar folgenden “Sackstellen” nicht zu verabschieden.

Literatur:
Lacan, Jacques (2012): R.S.I. Seminar XXII von Jacques Lacan. Hg. vom Lacan-Archiv Bregenz, übers. von Max Kleiner, Hamburg. Hergestellt zu vereinsinternen Zwecken. Arbeitsmaterialien 2.

4 Replies to “Körpersack”

  1. bei merleau-ponty habe ich übrigens auch den sack gefunden: das “massive gefühl von jenem sack, in den ich eingeschlossen bin …” (“sichtbare und unsichtbare”, s. 176). merleau-pontys betonung der verflechtung mit der welt und der kritik einer innerlichkeit, die irgendwo im körper sein soll, wäre in die richtung, sackmodelle zu kritisieren.
    meine frage wäre auch: geht es beim sack um traditionelle vorstellungen vom körper, was man oft als behälter- oder container-modell bezeichnet in den sozial- und kulturwissenschaften? bei einigen kulturwissenschaftlern wird ja die vorstellung eines abgeschlossenen körpers als behälter, der sich gegen die außenwelt abgrenzt, als ziemlich moderne körpervorstellung behandelt: “die vorstellung, dass ein körperinneres wie ein verschlossenes behältnis klar von einem körperäußeren zu unterscheiden ist, wird ab dem 17./18. jahrhundert zur bis in die heutige zeit andauernden selbstverständlichkeit” (martina löw, “raumsoziologie”, s. 117; änlich auch martin schroer in “räume, orte, grenzen”, s. 284 ff).

    1. Ok, nach meiner großen Ankündigung, jetzt hier also endlich einmal ein erster zaghafter Versuch einer Beteiligung am Blog:
      An der Sack-Erwähnung bei Merleau-Ponty (die meines Wissens die einzige ist in SU, aber vielleicht sind mir andere entgangen) finde ich u.a. die zusätzliche Erwähnung eines massiven Gefühls bzw. einer gefühlten Massivität interessant. Und zwar deshalb, da die Eigenschaft „massiv“ öfter im Hinblick auf die in SU angedachte Ontologie fällt („massives Sein“ SU 297 etc…) – sowie oft auch der Ausdruck „Masse“. Z.B. im Chiasmuskapitel, drei Seiten nach der Sack-Erwähnung: „die sinnliche Masse, die er [der Leib] selber ist“, verschränkt/überkreuzt sich „mit der Masse des Empfindbaren, aus der er durch Ausgliederung hervorgeht und für die er als Sehender offen bleibt“ (SU 179).
      Es ist in dem Zusammenhang auch immer wieder die Rede von einer „Schwere“ des Leibes/des Empfindens („jene schwere Masse, die unser Leib ist“, PhW 75/76).
      Mich würde sehr interessieren, ob (bzw. wo oder wie) der Körper als Sack (oder auch als Nicht-Sack) bei Freud/Lacan auch einen Bezug zu solchen Vorstellungen wie Massivität/Masse/Schwere/Gewicht (auch: Übermaß, in das „ich eingeschlossen bin“?) etc. … hat.

  2. Der Freud-Bezug schwingt hier jedenfalls mit, der Ausdruck „massives Sein“ fällt nämlich bei Merleau-Ponty an einer ganz wichtigen Stelle im Zusammenhang mit Überlegungen zu Freuds Unbewusstem in einer Notiz von 1960. Ich zitiere und fasse hier kurz zusammen:
    „Freuds Vorstellung, daß das Unbewußte und die Vergangenheit ‚unzerstörbar‘, ‚zeitlos‘ seien = Eliminierung der allgemeinen Idee der Zeit als ‚Reihe von Erlebnissen‘ – es gibt eine architektonische Vergangenheit […]“ (SU 296)
    Es folgt eine Kritik an Husserls Intentionalitätsanalyse bzw. der Retention als „Bewusstseinsfluss“ (und dem „Ablaufsphänomen“), die darauf hinausläuft, dass eine Philosophie des Bewusstseins die Gegenwärtigkeit des Vergangenen niemals wird erklären können, da sie immer auf die Thematisierung des zeitl. Flusses angewiesen bleibt.
    Demgegenüber fordert Merleau-Ponty eine radikalere Form von Simultanität: „Das Vergangene ist hier nicht mehr „eine ‚Modifikation‘ oder Modalität des Bewusstseins von …: Umgekehrt wird gerade das Bewußtsein von, das Wahrgenommen-haben getragen vom Vergangenen als einem massiven Sein“ (SU 297).
    Seine Überlegungen schließen dann, ohne wieder auf Freud zurückzukommen, mit der Bemerkung, dass also nicht das Bewusstsein oder der Flux der Zeit als primär betrachtet werden dürfe, sondern „der verräumlichende-zeitigende Wirbel (der Fleisch ist […])“ (SU 298), der nicht auf einen „Reihe von Erlebnissen“ zurückgreift, sondern in welchem diese selbst vielmehr nur „Schematisierung“ sind.
    Ich habe keine Ahnung, wie weit ich mich hier schon von der Frage des Sacks bei Freud oder Lacan entfernt habe bzw. diesbezüglich total auf dem Holzweg bin, – das wären jedenfalls mal meine Assoziationen bzw. Textstellen dazu…

  3. Nun.
    Zu Recherchezwecken gab ich gerade “Sack Freud” bei Google ein, aussagekräftigstes Ergebnis ist “Tritt Facebook bei, um dich mit Sack Freud und anderen Nutzern, die du kennst, zu vernetzen”.
    Also habe ich doch besser in der Stelle in “Das Ich und das Es” nachgesehen, wo das Sackbild verwendet wird. Ab S. 246 (G.W. XIII) geht es ja in der Tat sehr deutlich um Räumlichkeit, Oberfläche, Innen/Außen und “topische Vorstellung”. Freud geht insbesondere Gedanken dazu nach, wie sich das Verhältnis von (“innerer” und “äußerer”) Wahrnehmung im Verhältnis zu Bewusstsein und Unbewusstem begreifen lässt. Wenn von “Oberfläche” die Rede ist, scheint mir meist eben keine Flächigkeit im Sinne einer Zweidimensionalität gemeint zu sein, sondern ein Modell der Schichtung: Oberfläche ist das, was Innen und Außen miteinander in Kontakt bringt (also wie die Haut bei Anzieu vielleicht, der sich auf diese Stelle ja ebenfalls bezieht), außerdem gibt es “Oberflächennahes”, nämlich das mit Wortvorstellungen Verbundene. Über den Körper heißt es dann explizit (S. 253): “Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. Er wird wie ein anderes Objekt gesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen die eine einer innere Wahrnehmung gleichkommen kann.” Wenig später folgt die berühmte Stelle mit der “Projektion einer Oberfläche” und die Bemerkung das bewusste Ich sei “vor allem ein Körper-Ich”.
    So, und dann komme ich da irgendwie nicht weiter. Neben so interessanten Bemerkungen wie dem dem Es aufsitzenden Ich scheint mir Freud Räumlichkeit zu psychologisch und/oder medizinisch zu denken und bei der Topik etwas zu verschenken. Das Freudsche Bild, von dem im übrigen ja auch nur Lacan, nicht Freud selbst als Sack spricht, wirkt eher wie ein Stapel…
    Aber vielleicht könnte man Freuds Rede von “innerer Wahrnehmung” etwas umwenden: der Körper/Leib wäre dann das, was im Erleben der Welt immer auch sein Sich-Erleben erlebt. Das wiederum wäre phänomenologisch aber wohl eher trivial.
    Kein Wunder, dass ich bei facebook bislang nicht mit “Sack Freud” befreundet bin.

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