Verdoppelung von Leib und Körper (Waldenfels)

Mit der Verdoppelung von Leib und Körper (Waldenfels 2000, 245 ff.) wird die Leib-Körper-Unterscheidung thematisch, die als Begriff sozusagen den der Ambiguität bei Merleau-Ponty beerbt. Bei vielen phänomenologischen Autoren wird das Wort Leib für den Leib als das Medium des Weltbezugs verwendet (Medium meint, dass der Leib alles Verhalten ermöglicht, aber selbst unthematisch ist; erst in der Störung fällt er auf) und das Wort Körper für den Leib als Ding oder den Körper oder Leib, den man hat. Diese Differenz verweist darauf, dass man zwar sein Leib ist, aber nicht differenzlos. Hier waltet eine Einheit in der Differenz und Differenz in der Einheit, beide Sätze gehören zusammen: Ich bin mein Leib, und ich habe meinen Körper.
Bei Husserl schon taucht diese Leib-Körper-Unterscheidung auf und zwar auch als Korrelat zweier Einstellungen, der personalistischen Einstellung als der Einstellung des Alltags, wo der Leib als Medium fungiert, und der naturalistischen Einstellung, wo der Leib zu einem bloßen Körperding gemacht wird (Waldenfels 2000, 248 f.). Waldenfels weist daraufhin, dass dieser Rückgang auf Einstellungen nicht so zu verstehen ist, dass ein identisches X einmal so und mal so wahrgenommen wird wie der Stern, der einmal als Morgenstern und einmal als Abendstern betrachtet wird. Beim Leib geht das nicht, weil bei der leiblichen Erfahrung derjenige, der die Unterscheidung macht, schon auf der Seite des Leibes steht; insofern gibt es eine Präferenz des Leibes, weil der Leib selbst an der Unterscheidung beteiligt ist. In Bezug auf Husserl heißt das, dass die personalistische Einstellung den Vorrang hat. Korrekterweise müsste man immer den Begriff Leibkörper verwenden (Waldenfels 2000, 250 ff.).
Das Zugleich von Leibsein und Körperhaben heißt nun nach Waldenfels, dass Leiblichkeit für diese Seinsweise der Verdoppelung bzw. Selbstverdoppelung stehr und nicht nur Korrelat von Einstellungen ist, insofern war die husserlsche Sichtweise nur ein erster Schritt. Der Leib, der zuerst bestimmt wurde als Medium des Weltbezugs, ist ja kein immaterielles Medium, und Körper heißt hier auch, dass der Leib als fungierendes Medium selbst Teil der Welt ist, dass der Leib selbst dem zugehört, was er ermöglicht, auch wenn er nie gänzlich einfach Teil der Welt ist (Waldenfels 2000, 250 ff.). Dieses Zugleich von Leibsein und Körperhaben bzw. die Verschränkung von Leibsein und Körperhaben, wie es Plessner nennt, ist das Rätsel, das es zu denken gilt. Und diese Selbstverdoppelung oder was oben als die Differenz in der Einheit von Leibsein und Leibhaben genannt wurde – Waldenfels spricht auch von der Koinzidenz in der Nicht-Koinzidenz–, lässt sich weder auf die eine noch auf die andere auflösen (Waldenfels 2000, 260).[1]
In ihrer radikalsten Gestalt steht nun diese Selbstverdoppelung bei Waldefels für einen Selbstbezug, wo derjenige, der sich auf sich selbst bezieht, auch sich selbst entzogen ist, sich insofern auch fremd ist. Dabei will Waldenfels darauf hinaus, dass eine keine bruchlose Identität mit sich selbst gibt und dass gerade Körper für eine Fremdheit steht, die man am eigenen Leib erfährt, Fremdheit nicht im Sinne einer Entfremdung, sondern als ein Entzug gedacht. „Der Leibbezug ist zu fassen als innerer Entzug. Die Rede von einem Leibkörper bedeutet nicht, dass der Leib als inneres Erleben einem äußeren Körper vorausgeht, sondern in der Leiblichkeit selber, im leiblichen Erleben entzieht sich etwas, im Innen tritt schon ein Außen auf. Der Körper tritt nicht ergänzend hinzu, sondern die Körperlichkeit wird auf eine Weise selbst erlebt in dem Sinne, dass der Leib sich entzieht. Ein Beispiel wäre die Müdigkeit, wo der Leib etwas Lastendes bekommt und seine Funktion nicht mehr voll erfüllt. Ein anderes Beispiel wäre eine Verletzung, bei der die Körperlichkeit erlebt wird als Leib, der seine Funktion nicht mehr ausübt, die er normalerweise übernimmt.“ (Waldenfels 2000, 266).[2] Insofern ist Körper bei Waldenfels nicht einfach nur das objektivierte Ding Leib, sondern steht auch für die Fremdheit des eigenen Leibes, die nie überwunden werden kann.

Anmerkungen
[1] Die Verdoppelung in Leib und Körper, die Waldenfels auch so fasst, dass der Leib z. B. sehend und sichtbar, hörend und hörbar, berührend und berührbar ist, wird im Caresaiansmus gespalten in ein Körperding, dass nur sichtbar ist, aber nicht sehend, und ein sehendes Geistesding, das nicht sichtbar ist.
[2] Bei dem Satz „Leib als inneres Erleben“, der dem äußerlichen Körper vorangeht – da zielt Waldenfels auf Hermann Schmitz, der aus dem Leib was Innerliches macht, eine Art Spiritualismus (Waldenfels 2000, 267 ff.).

Literatur
Waldenfels, Bernhard: Das leibliche Selbst, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2000.

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